Zur Startseite ...

Rosskastaniensamen - Hippocastani semen [DAB 1999]

Stammpflanze: Aesculus hippocastanum L. / Rosskastanie [Fam. Hippocastanaceae / Rosskastaniengewächse]. Synonyme: Aesculus hippocastanum f. memmingeri (K. KOCH) SCHELLE, Aesculus castanea GILIB., Aesculus procera SALISB., Hippocastanum vulgare GAERTN. Dt. Synonyme: Pferdekastanie, Wilde Kastanie. Englisch: Horse chestnut, conqueror tree.

Artgliederung: Keine natürlichen Unterarten, jedoch zahlreiche Gartenformen. Zu diesen zählen u. a. die Formatio baumanni SCHNEIDER mit gefüllten weißen Blüten, die f. schirnhoferi VOSS. mit gelbroten, gefüllten Blüten und die f. umbraculifera REHDER mit einer dichten, kugeligen Krone.

Botanische Beschreibung der Stammpflanze: Stattlicher, 25 bis 35 m hoch und über 200 Jahre alt werdender sommergrüner Baum mit dichter, gewölbter Krone und kräftigem Stamm mit graubrauner oder grauschwarzer, recht glatter Borke. Seitenzweige ebenfalls relativ knorrig, im Frühjahr mit auffallenden, dicken kegelförmigen, dunkelrotbraunen klebrigen Knospen. Laubblätter gefingert, mit 5 bis 7 bis 20 cm lang gestielten und über 20 cm langen, länglich verkehrt-eiförmigen, ungleich kerbig gesägten Blattfiedern. Blüten in kegelförmigen bis lang-eiförmigen Rispen. Blüten 5zählig, Kelchblätter ungleich 5lappig, Kronblätter weiß, mit beim näheren Betrachten auffallendem roten (oder gelben) Fleck im Zentrum, am Rand seltsam gewellt und gewimpert. Anzahl der Staubblätter variierend, 5 bis (häufig) 7, erheblich länger als die Kronblätter. Fruchtform: Gelbgrün gefärbte, kugelige, weichstachelige Kapselfrüchte mit einem Durchmesser bis 6 cm. Früchte mit meist 1, selten bis 3 flach-kugeligen, 1 bis 2 cm großen, glänzendbraunen, hartschaligen Samen, die einen großen gelblich-graubraunen Nabelfleck besitzen.

Verbreitung: Heimisch in den Gebirgen Albaniens, Ost-Bulgariens, Griechenlands und des ehemaligen Jugoslawiens. Schon seit Jahrhunderten auch in Mitteleuropa kultiviert und verwildert heute bis zu den Britischen Inseln, Dänemark, Skandinavien und NW-Russland vorkommend.

Droge: Die getrockneten Samen mit einem Mindestgehalt an Triterpenglykosiden von 3,0 % bezogen auf die getrocknete Droge [berechnet als getrocknetes Aescin].

Beschreibung der Droge: Die Ganzdroge ("Kastanien") besitzt eine Größe von 2 bis 4 cm und eine kugelig-ovale, etwas abgeflachte Form. Die dunkelbraun gefärbte, im frischen Zustand glänzende und nach dem Trocknen matte Samenschale weist einen großen, rundlichen, hellbraunen bis cremefarbenen Fleck auf (Hilum). Im Inneren befindet sich ausschließlich der Embryo mit den großen, schwach gelblichen Keimblättern.
Die pulverisierte Droge weist eine gelblichgraue Färbung auf. Bei der mikroskopischen Untersuchung des Wasserpräparates finden sich sehr zahlreich unterschiedliche Typen von Stärkekörnern: 15 bis 25 µm große Stärkekörner, die oft warzenartige Auswüchse aufweisen; 5 bis 10 µm große rundliche Stärkekörner; aus 2 bis 4 reihenförmig angeordneten Einzelkörnern bestehende Aggregate mit einer Länge bis etwa 35 µm. Das Chloralhydratpräparat ist durch sehr zahlreiche Fetttropfen verschiedener Größe, farbloses Gewebe der Keimblätter, Fragmente der Samenschale mit dickwandigen, getüpfelten Sklerenchymzellen, derbwandigen, undeutlich getüpfelten, farblosen Parenchymzellen und vereinzelt vorkommenden Ring- und Schraubengefäßen aus der inneren Zone der Samenschale gekennzeichnet.

Geruch und Geschmack: Geruchlos. Embryonen mit anfangs süßlichem, später stark bitteren Geschmack, Samenschale adstringierend.

Synonyme Drogenbezeichnungen: Deutsch: keine bekannt. Englisch: Horse chestnut seeds. Lateinisch: Semen hippocastani, Semen Castaneae equinae.

Herkunft: Überwiegend aus osteuropäischen Ländern.

Inhaltsstoffe: Etwa 3 bis 8 % Saponine, die zum überwiegenden Teil Glykoside des Barringtogenols C und des Protoaescigenins sind. Exakt handelt es sich um ein als Aescin bezeichnetes, aus zahlreichen Einzelkomponenten bestehendes Gemisch acylierter Verbindungen. Folgende Säuren kommen als Esterkomponenten vor: Essigsäure, Angelikasäue, Tiglinsäure sowie in geringer Menge a-Methylbuttersäure und Isobuttersäure. Untergliedert wird das Aescin in das kristalline, hämolytisch inaktive ß-Aescin und das hämolytisch aktive Kryptoaescin. Strukturell unterscheiden sich ß-Aescin und Kryptoaescin durch Art und Bindungsstelle der Säuren. ß-Aescin: Essigsäure am C-22, Angelika- oder Tiglinsäure am C-21; Kryptoaescin: Essigsäure am C-28, Tiglin- und Angelikasäure am C-21 und C-22. Im gelösten Zustand hohe Instabilität mit Wanderung der Acylgruppen, insbesondere der Acetylgruppe. Der dabei entstehende 22-,28-Diacetylester wird als α-Aescin bezeichnet und ist durch eine sehr gute Wasserlöslichkeit gekennzeichnet. Flavonoide zu etwa 0,2 bis 0,3 %, darunter vor allem Glykoside des Quercetins und des Kämpferols. Verbindungen anderer Stoffgruppen nur in sehr geringer Menge. Aus der Gruppe der Reservestoffe des Embryonen reichlich Stärke (50 %), weiterhin Fettes Öl (ca. 6,5 %) und Eiweiße (7 bis 11 %).

Wirkungen: Aescin wirkt gefäßabdichtend. Als Folge dessen antiexsudativ und ödemprotektiv. Wirkungsmechanismus noch nicht eindeutig erwiesen. Vermutet wird, dass Aescin und Rosskastanienextrakt die pathologisch erhöhte Kapillarpermeabilität vermindern durch eine Hemmung von Enzymen, die in der Venenwand enthaltene Proteoglykane abbauen (lysieren, auflösen; daher Bezeichnung "lysomale Enzyme") und somit die Gefäßwände schädigen. In klinischen Studien, in denen zumeist auf Aescin standardisierte Rosskastanienextrakte eingesetzt wurden, konnte eine signifikante Besserung von Symptomen der chronischen Veneninsuffizienz (Müdigkeits-, Schwere- und Spannungsgefühl, Juckreiz, Schmerzen und Schwellungen in den Beinen) nachgewiesen werden.

Anwendungsgebiete: Innerlich zur Behandlung von Beschwerden bei Erkrankungen der Beinvenen (chronische Veneninsuffizienz). Zu diesen zählen zum Beispiel Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen, nächtliche Wadenkrämpfe, Juckreiz und Beinschwellungen.

Volkstümliche Anwendungsgebiete: Äußerlich in unterschiedlicher Zubereitungsform bei schmerzhaften Verletzungen/Verstauchungen, Blutergüssen, Ödemen und Schmerzen der Wirbelsäule. und Ödemen verwendet. Als Bestandteil von Zäpfchen auch bei Hämorrhoiden. Eine Resorption der wirksamen Bestandteile der Droge bei äußerer Anwendung konnte bisher nicht bewiesen werden und ist infolge der chemischen Struktur der Wirkstoffe auch äußerst unwahrscheinlich. Aus diesem Grund konnte eine Wirksamkeit bei diesen Anwendungsgebieten bislang nicht belegt werden.

Gegenanzeigen: Nicht bekannt.

Unerwünschte Wirkungen: Saponine besitzen eine unspezifische schleimhautreizende Wirkung. Daher können nach Einnahme in Einzelfällen Juckreiz, Übelkeit oder Magenbeschwerden auftreten.

Wechselwirkungen mit anderen Mitteln: Nicht bekannt.

Dosierung und Art der Anwendung: Anwendung als Arzneitee weder gebräuchlich noch empfehlenswert. Die Anwendung erfolgt in Form von unter standardisierten Bedingungen hergestellten Fertigarzneimitteln, die einen exakt definierten Gehalt an Aescin aufweisen. Tagesdosis: 100 mg Aescin. Einnahme 2 x täglich möglichst in Form magensaftresistenter (Ausschaltung der Reizwirkung auf die Magenschleimhaut) Präparate. Einzeldosis einer Extraktmenge von 250-312,5 mg entsprechend. Die Anwendungsdauer muss mehrere Wochen betragen. Der ödemprotektive Effekt ist nach ca. 1 bis 2 Wochen zu erwarten. Eine mit Kompressionsstrümpfen vergleichbare Ödemabnahme ist nach etwa 12 Wochen gegeben.

Toxikologische Eigenschaften: Bei Hunden war bei täglicher Gabe von 80 mg Rosskastanienextrakt pro kg Körpergewicht nach 34 Wochen eine Magenreizung zu beobachten. Bei Ratten nach 34wöchiger peroraler Gabe von 400 mg/ KG keine toxischen Veränderungen.

Sonstige Verwendung: Infolge der seifenartigen Wirkung (s. Definition der Saponine) werden Samenmehl und aus den Samen hergestellte Extrakte seit langem in verschiedenster Weise als Waschmittel genutzt. Ganze Samen als Mastfutter für Schweine, Schafe, in der Fischzucht und zur Wildfütterung. Samenmehl auch als Bestandteil von Schnupftabak. Auch Verwendung in Industrie und Technik wie z. B. zur Leimbereitung oder zur Herstellung von Porenbeton.


Bilder:
wpe6.jpg (5760 Byte)

Die Rosskastanie ist ein stattlicher Baum, der unter entsprechenden Wachstumsbedingungen eine wunderschöne, dicht gewölbte Krone entwickelt (Abb. links oben). Die Blüten befinden sich in kegelförmigen Rispen, wobei jeder Rispenast etwa 2 bis 5 Einzelblüten trägt (Abb. links unten). Die Anzahl der Staubblätter, die deutlich länger als die Kronblätter sind, beträgt 5 bis 7. Die Kronblätter sind weiß und besitzen in der Mitte einen leuchtend roten Fleck, der je nach (Garten-)Form auch gelb gefärbt sein kann (Abb. unten Mitte). Bei den Früchten handelt es sich um Kapseln, die sich an Längsspalten öffnen (Abb. rechts oben). Die frisch glänzendbraunen Samen sind durch einen großen gelblich-graubraunen Nabelfleck gekennzeichnet (Abb. rechts unten).

wpe8.jpg (6269 Byte)

wpe7.jpg (4677 Byte)


Literatur: USDA, ARS, National Genetic Resources Program. Germplasm Resources Information Network - (GRIN). [Online Database] National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Available: http://www.ars-grin.gov/cgi-bin/npgs/html/taxon.pl?1628 (28 August 2003); Hagers Handbuch der pharmazeutischen Praxis, Springer-Verlag, Berlin-Heidelberg-New York; M. Wichtl (Hrsg.), Teedrogen und Phytopharmaka, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 2002; Monografie der Kommission E, Bundes-Anzeiger Nr. 71 vom 15.04.1994; Deutsches Arzneibuch 1999; E. Teuscher, Biogene Arzneimittel, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart 1997; H. Rimpler (Hrsg.), Biogene Arzneistoffe, Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 1999; S. Wasielewski, Pflanzliche Arzneimittel bei Venenleiden, Dt. Apotheker Ztg. 143 (2003): 460-2; W. Caesar, Rosskastanienextrakt bei Venenleiden, Dt. Apotheker Ztg. 143 (2003): 1731-2; E. Wolf, Kompression und Ödemprotektiva als Standbeine der Venentherapie, Pharm. Ztg. 143 (1998): 1343-52.


© Thomas Schöpke